Kaum ein Open World-Titel wurde so heiß erwartet wie das postapokalyptische Abenteuer von „Biomutant“. Die Gameplay-Trailer waren der Hammer und so konnte man den Release gar nicht abwarten, um diese großartige Welt erkunden zu können. Als mutierter Waschbär-/ roter Panda -Mix nehmen wir mit Blitzschwertern, Pistolen und einem Martial-Arts-Kampfstil den Kampf gegen den Weltuntergang und eine sterbende Welt auf. Wir haben den Titel für euch auf Herz und Nieren geprüft.
„Biomutant“ verspricht eine spannende Open World und ein Action-Rollenspiel mit einer tollen Geschichte und spielentscheidenden Wahlmöglichkeiten. Mit jeder Menge Loot, Millionen an Ausrüstungskombinationen und einem tollen Crafting-System. In jedem dieser Punkte bringt das Spiel tolle Ideen mit sich, doch leider ist keine davon zu Ende gedacht. „Biomutant“ hätte so viel mehr sein können. Das Spiel enttäuscht aber leider in vielen Punkten.
Viele Möglichkeiten, aber keine wirkliche Auswirkung
Zu Beginn des Spiels können wir unseren Charakter erstellen. Für Rollenspiel-Fans ist die Charaktererstellung ein absolutes Fest. Im Editor können wir unseren eigenen Mutanten-Waschbären kreieren. Jeder Regler, den wir betätigen, wirkt sich auf unseren Charakter aus, sodass er gefährlich, niedlich oder total bescheuert aussehen kann. Aber es geht dabei nicht um persönlichen Geschmack, denn das Aussehen ist direkt mit den Attributen verknüpft. Schiebt ihr den Regler z.B. ganz auf Stärke, dann wird euer Held breiter als der Türsteher. Eine nette Idee, doch leider ist dies schon der erste Punkt, der enttäuscht. Denn wer ein komplexes Charaktersystem erwartet hat, wird von dem „Charakter Mutieren“-Menü wenig begeistert sein.
Nachdem ihr nämlich eure Tierart ausgewählt habt, stehen euch insgesamt fünf Klassen zur Verfügung. Allerdings ist eure gewählte Klasse völlig irrelevant, denn sie legt lediglich eure Startausrüstung fest. Wählt ihr z.B. die Kommando-Klasse, bekommt ihr als Startwaffe ein Sturmgewehr. Sämtliche Klassenfähigkeiten und Ausrüstungen können wir aber im Laufe des Spiels freischalten, sodass die Wahl der Klasse nur in den ersten Spielstunden eine entscheidende Rolle spielt — schade, denn das mindert den Wiederspielwert leider erheblich.
Die Attribute sind eine weitere Enttäuschung. Sie warten zwar mit kreativen Ideen auf, einen wirklichen Unterschied machen sie aber nicht. In der Spielwelt gibt es zahlreiche Rätsel oder Dialog-Optionen, die ihr nur dann lösen könnt, wenn ihr bestimmte Attributs-Werte habt. Doch hier wurde auch wieder nicht zu Ende gedacht, denn die Rätsel sind recht simpel und können, auch wenn ihr sie nicht geschafft haben solltet, erneut versucht werden. Auch in den Dialogen reicht ein minimaler Charisma-Wert, um die zusätzlichen Gespräche auswählen zu können. Eure Resistenz-Werte gegen Umweltbelastungen sind ebenfalls nur optional, denn ihr müsst, um die Story durchspielen zu können, in keines der verseuchten Gebiete. Das heißt, theoretisch ist es völlig egal, wie ihr eure Attribute verteilt, denn sie haben so gut wie keine Gewichtung.
Story ist völlig vorhersehbar
Gerade die Story hat viele Spieler in den Trailern in den Bann gezogen, sodass man „Biomutant“ unbedingt spielen wollte. Das Setting mit mutierten Tieren ist noch gänzlich unverbraucht und das Martial Arts-artige Kampfsystem dürfte dann sein Übriges getan haben. „Biomutant“ spielt in einer Postapokalypse, in der es die Menschen nicht mehr gibt. Diese haben nämlich eine Umweltkatastrophe ausgelöst, die zur Vernichtung der Menschheit geführt hat. Diese Katastrophe hat dafür gesorgt, dass die Tiere genetisch mutiert sind und nun „fast“ an der Spitze der Nahrungskette stehen. Die Grundstory ist aber völlig irrelevant, bis auf ein paar vage Hinweise auf die Menschen sehen wir nichts, was zu dieser Katastrophe geführt hat, auch scheint es egal zu sein, dass wir ein mutiertes Tier sind.
Im Grunde ist die Story von „Biomutant“ schnell erzählt: Die Welt steht vor dem Untergang und wir sind der Auserwählte. Ein übermächtiger Feind hat unsere Familie ausgelöscht und wir begeben uns auf die Suche nach unserer Vergangenheit. Nicht, dass solche Geschichten nicht spannend erzählt werden können und einige der besten Rollenspiele genau auf diesem Plot basieren. Doch „Biomutant“ schafft es nicht, spannende Wendungen zu inszenieren, alles passiert genau so wie man es erwartet.
Sprecher aus der Hölle
Die Dialoge sind nicht im klassischen Sinne vertont, denn die doch langatmigen Textpassagen werden nur von einem Erzähler übernommen. Die Tiere reden in einer undeutlichen Fantasiesprache, die nach einem nervigen Mix aus Tierlauten und dem Animal-Crossing-Kauderwelsch klingt. An sich ist diese Art der Dialogführung durchaus cool, denn es ist immerhin glaubwürdig, dass die Tiere nicht unsere Sprache sprechen können. Das Setting hätte Potential für einige spannende Ideen geboten, doch leider wurde auch hier wieder nicht zu Ende gedacht. Denn der Sprecher leiert die Texte mit der Emotion eines Flegmons herunter. Hier wollte man ganz klar am Sprecher-Budget sparen.
Aber auch außerhalb der Dialoge ist der Sprecher leider pausenlos am Reden. Zwar kann man das in den Einstellungen auch auf ein Minimum zu reduzieren, aber gefühlt bringt das leider keinen Unterschied. Nervig wird das Ganze aber, wenn der Sprecher ungefragt Umgebungsrätsel löst. Das geschieht nicht etwa, wenn wir nicht mehr weiterwissen und schon eine halbe Stunde in einem Raum verweilen, sondern sofort. Und da drängt sich die Frage auf, wozu die Entwickler sich überhaupt die Mühe gemacht haben, die Rätsel ins Spiel zu bringen. Wobei der Schwierigkeitsgrad der Rätsel generell zu wünschen übrig lässt.
Was kann die Open World?
Die Welt von „Biomutant“ hat durchaus stimmungsvolle Momente, wenn wir z.B. mit unserem Flugreittier über Wiesen fliegen und in der Ferne zerfallene Städte und Autobahnbrücken entdecken können. Doch wenn wir uns die Sache näher anschauen, entdecken wir schnell, dass alles sehr leer ist. Die Städte und Dörfer sind unheimlich trist, aber nicht das „Postapokalypse-Trist“, sondern einfach leer. Es fehlen für meine Verhältnisse die Details, die an eine zerstörte Zivilisation erinnern. Erkunden macht so nur wenig Spaß. Apropos Erkunden — da nimmt uns das Spiel leider wieder an die Hand und verrät uns, was es in der Umgebung alles zu finden gibt. So leuchten uns in den tristen Häusern schon die Schränke und Kommoden mit einer passenden Farbe entgegen, damit wir den Loot auch ja nicht verpassen können.
Auch bei den Quests werden wir wie ein kleines Kind an die Hand genommen. Wir folgen der Quest von Questmarker zu Questmarker. Auch sind die Quests nicht immer das Gelbe vom Ei. Denn für viele der Aufgaben gehen wir zu Person A und müssen dann gefühlt kilometerweit laufen, um einen Gegenstand zu finden und dann wieder zu Questgeber A zurückzukehren. Wenn wir jetzt noch auf Türme klettern müssten, um Gebiete auf der Map freizulegen, dann würde ich sagen, wir sind in einem ganz frühen Open World-Game von Ubisoft gelandet. Richtige Entdeckerstimmung kommt leider nicht auf.
Reisen durch die Kindheit
Eine spannende Abwechslung bietet aber das Reisen durch unsere Kindheit, das immer mal wieder an bestimmten Stellen der Hauptquest getriggert wird. Die Geschichten sind an sich sehr gut erzählt und zeigen uns die Hintergründe, warum wir zu dem wurden, der wir heute sind. Schade ist, dass auch hier das System mal wieder nicht zu Ende gedacht wurde. Die Entscheidungen, die wir in den Rückblicken fällen, beeinflussen das Spiel nur rudimentär. Entweder reden die Charaktere, die wir treffen, von uns als „Du warst ein braves Kind“ oder „Du warst ein freches Kind“. Da wäre auch mehr Potential für komplexe Charakter-Entwicklungen gewesen.
Kämpfe sind das Aushängeschild
Sein wirkliches Potential zeigt „Biomutant“ bei den actionreichen Kämpfen. Mit der riesigen Auswahl an Fähigkeiten und Kombos kommt nie Langeweile auf. Jeder Waffentyp bringt weitere Spielweisen hinzu und dann gibt es ja auch noch unsere Spezialkräfte. Mit ihnen vergiften wir Gegnergruppen, zünden sie an oder lassen sie sogar aufeinander losgehen. Doch es gibt auch hier leider wieder ein Problem, denn natürlich können wir auch die Standardattacken spammen und kommen so auch ans Ziel — leider auch bei den Boss-Gegnern. Das schmälert das sonst tolle Kampfsystem ein wenig. Aber wer sich mit dem Standard nicht zufriedengibt, dem steht eine Fülle an Möglichkeiten offen.
Wir empfehlen euch, wenn ihr auf dem PC spielen solltet, ein Gamepad zu verwenden, denn die Tastatursteuerung ist leider unspielbar. Wenn ihr z.B. eine Spezialattacke ausführen wollt, müsst ihr die mittlere Maustaste gedrückt halten und dann Alt, E, Leertaste oder rechte Maustaste für die jeweilige Schnellauswahl nutzen. Die Belegung lässt sich natürlich anpassen, aber das Spiel scheint dadurch ein wenig verwirrt zu sein, sodass die Steuerung dann außerhalb der Kämpfe nicht mehr funktioniert. Mit dem Gamepad lässt sich das Spiel aber einwandfrei spielen und die meisten dürften zum Gamepad greifen, da es sich für die actiongeladenen Kämpfe geradezu anbietet.
Abgedrehtes Crafting-System
In Sachen Loot setzt „Biomutant“ auf Masse. Auf euren Erkundungstouren könnt ihr ordentlich Gegenstände und Crafting-Materialien finden. Im Crafting-Menü könnt ihr aus den gefundenen Gegenständen neue basteln, Mods an eure Ausrüstung anbringen oder auch komplett neu bauen. Euch stehen jede Menge Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung —alleine 200 Millionen Möglichkeiten für Schusswaffen. Jede Waffe und jeder Ausrüstungsgegenstand ist visuell liebevoll gestaltet und man merkt, dass die Entwickler sehr viel Herzblut in das Crafting-System gesteckt haben. Eine Idee ist abgedrehter als die andere, aber sind wir mal ehrlich — wer würde nicht gerne eine Waffe aus Bananen und Tresortüren schwingen?
Das Crafting-Menü hat aber auch seine Tücken, denn ihr müsst euch durch zahlreiche Untermenüs und endlos lange Listen an Materialien wühlen. Umso mehr ihr findet, desto unübersichtlicher werden die Menüs. Schade ist auch, dass man die Mods nicht nach Werten sortieren kann. Ebenfalls das Zerlegen der Ausrüstung ist ein wenig umständlich geregelt, ihr müsst nämlich erst ins Menü navigieren und sie dann dort zerlegen.
Die Qual mit der Moral
„Biomutant“ besitzt ein Moralsystem. Doch wenn ihr jetzt an das Moralsystem aus „Fable“ gedacht habt, dann müssen wir euch enttäuschen, denn so komplex ist es dann leider nicht. Während eurer Reise könnt ihr immer wieder Entscheidungen treffen, die eure dunkle oder helle Seite leveln — das war es aber auch schon. Spielerisch wirkt sich eure Entscheidung so gut wie nicht aus, ihr bekommt dadurch lediglich ein paar Kampffähigkeiten, die ihr durch bestimmte Gut- oder Böse-Wertungen freischalten könnt.
Auch in der Story macht das Moralsystem keinen signifikanten Unterschied, denn wir spielen entweder einen strahlenden Held oder einen Drecksack, wie er im Buche steht. Am Ende führen unsere Entscheidungen zu einem von zwei vorhersehbaren Ausgängen der Geschichte. Aber auch hier nimmt das Spiel uns an die Hand und versucht, uns auf die helle Seite zu drängen. Am Anfang des Spiels muss man sich für einen Weg entscheiden — entweder man vereint die Stämme oder unterjocht sie. Das Spiel drängt einen aber geradezu dahin, den guten Weg einzuschlagen. Ob das eine kluge Entscheidung der Entwickler war, wage ich zu bezweifeln, denn manchmal möchte man einfach der Fiesling sein und die Welt unterjochen. Aber dafür gibt es nach dem erstmaligen Durchspielen ja auch die New Game+ Funktion.
Apropos New Game+ Funktion, nach dem ersten Durchgang des Spiels könnt ihr erneut das Spiel von vorne beginnen. Ihr startet dann die Story mit eurer aktuellen Stufe, Ausrüstung und Skills erneut. Der Unterschied ist jetzt, dass ihr euch diesmal allen sechs Clans anschließen könnt und nicht nur den Myriad (Hell) und den Jagni (Dunkel). Damit zeigt sich ein großer Teil von „Biomutant“ erst im zweiten Durchgang.
Tolle Ideen, aber keine zu Ende gedacht
Nachdem ich erstes Gameplay-Material auf der Gamescom 2018 zu „Biomutant“ gesehen hatte, war es um mich geschehen, ich wollte dieses Spiel unbedingt spielen. Das Setting mit mutierten Tieren in einer postapokalyptischen Welt war so herrlich unverbraucht und das Martial Arts-angehauchte Kampfsystem machte Lust auf mehr. Wenn es nur halb so gut würde, wie meine erste Spielsession von „Fallout 3“ war, wäre ich zufrieden gewesen. Doch leider bin ich jetzt eines Besseren belehrt worden.
Viele der tollen Ideen der Entwickler sind leider nicht zu Ende gedacht worden. „Biomutant“ fühlt sich einfach noch nicht fertig an. Die Welt ist viel zu leer und an manchen Stellen auch völlig belanglos. Meine Entscheidungen machen sich kaum bemerkbar und das Moralsystem ist leider auch fragwürdig. Denn wenn ich nur zwischen Gut und Böse entscheiden kann und es dann noch nicht einmal wirkliche Auswirkungen auf die Story hat, wozu entscheide ich mich dann eigentlich? Das Schlimmste ist aber leider der Sprecher, denn der leiert die Texte einfach nur Öde herunter. Er verpasst auch mal gerne seinen Einsatz und hat mir ehrlich gesagt das ein oder andere Rätsel versaut.
Bei all der Kritik gibt es aber auch positive Dinge an „Biomutant“. Mir hat vor allem das Kampfsystem sehr gefallen, denn die verschiedenen Kombos und Waffen sind einfach genial. Auch das Crafting-System / -Menü macht richtig Spaß — ich sag nur Bananenschwert. Hier hätte noch eine Filterfunktion gefehlt, dann wäre es für mich perfekt gewesen. Auch gefallen mir der Grafikstil und die Atmosphäre des Spiels (abseits der Hauptquest) sehr, denn sie haben etwas von einem meiner Lieblings-Animationsfilme „Kung-Fu Panda“.
Alles in allem ist „Biomutant“ kein schlechtes Spiel, schade ist nur, dass keine der Ideen der Entwickler wirklich zu Ende gebracht wurde und es sich deswegen wie ein nicht fertig geknüpfter Teppich anfühlt. Man kann nur hoffen, dass die Experiment 101 weiter am Spiel arbeitet und für zukünftige Projekte einen roten Faden findet.
- Detailverliebte Ausrüstung
- Schön gestaltete Landschaften
- Stimmige Atmosphäre
- Generische Städte und Dörfer mit wenigen Details
- Wenige Charaktermodelle
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- Tolles Martial Arts-artiges Kampfsystem
- Guter Mix aus Erkunden und Kämpfen
- Interessanter Charakter-Editor
- Stupides Ablaufen von Questmarkern
- Lootbehälter, die einem entgegenleuchten
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- Drei Schwierigkeitsgrade
- Einsteigerfreundlich
- New Game+ mit mehr Inhalt
- Klassenwahl und Charakterwerte spielen kaum eine Rolle
- Kämpfe lassen sich auch durch Spammen des Standard-Angriffs gewinnen (auch Bosskämpfe)
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- Unverbrauchtes Setting
- Die Geschichte als Kind ist interessant gestaltet
- Klischeebehaftete Hauptstory ohne große Wendungen
- „Erzähler des Grauens“ / wirkt zeitweise sogar gelangweilt
- NPC-Charaktere ohne wirklichen Tiefgang
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- Verschiedene Enden
- Zahlreiche Nebenquests
- Millionen Ausrüstungs-Kombinationen
- Vier der insgesamt sechs Fraktionen erst im New Game+ freischaltbar
- Bosskämpfe und Nebenquests wiederholen sich
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Bild: Experiment 101/THQ Nordic
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